Suche
Close this search box.

Du hast es selbst in der Hand!

„Du hast es selbst in der Hand!“ Wie oft haben wir schon diesen Satz gehört, sei es, dass wir uns über schwierige Situationen am Arbeitsplatz oder im Privatleben geärgert haben. Wir fühlen uns dem Leben hilflos ausgeliefert und wissen nicht, wie wir es ändern können. In unserem Kopf haben wir eine Vorstellung davon, wie unser Tag oder die Woche zu sein hat. Aber leider kommt es häufig anders. Und oft nicht so, wie wir uns das wünschen. Wir ärgern uns, sind wütend und frustriert, auf das Leben, auf unsere Mitmenschen. Wir fühlen uns als Opfer. Doch das muss nicht sein. Denn wir haben es tatsächlich selbst in der Hand.

„Leben ist das, was passiert, während du dabei bist andere Pläne zu machen.“

Wenn dir das Leben mal wieder Zitronen gibt

Auch wenn uns das Leben Zitronen gibt, haben wir es selbst in der Hand

Mein Nacken schmerzt. Meine Beine fühlen sich an als wären sie aus reinstem Blei. Ich bin müde, so unfassbar müde. Der graue dämmrige Himmel an diesem Spätnachmittag trägt nicht wirklich dazu bei, mich aufzumuntern. Leider auch nicht das fröhliche ununterbrochene Geplapper meiner kleinen Tochter. Soeben habe ich sie aus der Kindertagesstätte abgeholt und langsam, nur ganz langsam kommen wir voran Richtung Supermarkt. Immer wieder bleibt die Kleine stehen, denn reden und gleichzeitig laufen – das fällt ihr scheinbar schwer. Außerdem gibt es auf dem Weg zum Supermarkt so viel zu entdecken. „Komm“, rufe ich. „Wir müssen noch einkaufen und ich will endlich nach Hause!“

Einkaufen. Im Grunde mache ich es gerne, denn seit Jahren beschäftige ich mich mit Ernährung und wenn es mir richtig gut geht, liebe ich es, neue Gerichte auszuprobieren und so viel Gemüse und andere hochwertige Lebensmittel wie nur möglich für unseren Vier-Mädel-Haushalt zu verarbeiten. Aber nicht heute. Nicht nach einem langen Arbeitstag als Erzieherin an einer offenen Ganztagsgrundschule. Mein größter Wunsch in diesem Moment ist mein Bett. Oder die Couch.

Stattdessen steht mal wieder das Einkaufen an. Zu Fuß. Denn ich habe kein Auto. Seit Jahren sage ich mir, dass ich es mir nicht leisten kann. Und ich will ja auch etwas für die Umwelt tun.

Aber es ärgert mich. Ich hasse es! Wie viel Zeit könnte ich mit so einem Auto sparen! Und das schwere Tragen … Ich habe es wirklich nicht leicht (Achtung: Selbstmitleid!): Alleine mit drei Kindern, beruflich bin ich Stress und einer hohen Lautstärke ausgesetzt und meine freie Zeit verbringe ich mit Einkaufen, Kochen und … hm, eigentlich ist der Tag dann schon wieder vorbei. Zu was anderem bin ich dann oft nicht mehr in der Lage. Okay, für einen großen Streaminganbieter reicht es abends noch. Aber erfüllend ist das nicht.

Das ist jetzt also mein Leben. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Du dann hast es, man hat sein Leben selbst in der Hand.

Wie gut haben es doch andere Mütter. Die haben einen Partner (vielleicht sogar einen, der sie unterstützt), ein Auto, einen (Teilzeit-) Job, der ihnen optimalerweise Spaß macht, die Wohnung oder das Haus ist wahrscheinlich immer aufgeräumt und Freizeit ist ebenfalls vorhanden. Wieso habe ich das nicht?!

Perspektivwechsel - haben wir es doch selbst in der Hand?

„Kastanien!“, ruft meine Tochter, und ehe ich was sagen kann, beginnt sie eine nach der anderen aufzusammeln. Ruckzuck sind ihre kleinen Jackentaschen voll und keine weitere passt mehr rein.

„Warte“, sage ich und setze meinen Rucksack ab. „Ich habe eine Tasche dabei.“ Meine Kleine quietscht vor Freude. Gemeinsam sammeln wir so viele Kastanien auf wie nur möglich.

Und plötzlich ist da kein Stress mehr. Die Zeit ist egal. Kein Gedanke mehr an die anstrengende Arbeit, den bevorstehenden Einkauf und das Kochen. 

 

Der Regenbogen wartet nicht

"Die Arbeit läuft dir nicht davon, wenn Du deinem Kind einen Regenbogen zeigst. Aber der Regenbogen wartet nicht, bist du mit deiner Arbeit fertig bist."

Ist es nicht genau das, wofür es sich zu leben lohnt? Das Strahlen in den Augen meines Kindes. Die Freude, gemeinsam Zeit zu verbringen. Und weswegen der Herbst meine Lieblingsjahreszeit ist. Blätter, in leuchtenden Rot, Gelb und Orange. Runde, glatte Kastanien, die sich immer etwas kühl anfühlen und aus denen man Ketten und Tiere basteln kann. Dieses wohlige Gefühl, wenn man aus der Kälte in die warme Wohnung kommt. Kerzenschein in der Dämmerung. Gemeinsam Kakao trinken und dabei ein Spiel spielen. 

Der Einkauf? Kann warten. Genau dieser Moment, in dem ich gemeinsam mit meiner Tochter Kastanien sammle, kommt nie wieder. Ich habe es selbst in der Hand, ob ich diesen Moment genieße oder nicht.

Warum wir uns selbst oft als Opfer sehen

Diese negativen Selbstgespräche sind typisch für Menschen, die in der Opferrolle gefangen sind. 

Wenn ich hier den Begriff „Opfer“ benutze, meine ich in erster Linie damit Menschen, die eine, weitestgehende, negative Haltung zu fast allem haben und sich oft beschweren, obwohl sie, von Außen betrachtet, wenig Grund dazu haben. Jedoch maße ich mir nicht an, über diese Menschen und ihr Wesen zu urteilen. Keiner kann in einen hinein schauen und man weiß nicht, was dieser Mensch erlebt hat. Tiefgreifende traumatische Erfahrungen bedürfen einer fachlichen Begleitung. Solltest du davon betroffen sein, kann es sinnvoll sein, dir Hilfe bei einem Therapeuten zu holen, um diese Erlebnisse zu verarbeiten.

Wieso verharren wir in der Opferrolle?

Auf den ersten Blick scheint es viele Vorteile mit sich zu bringen:

  • Wenn wir uns bei anderen über unseren stressigen Alltag, die blöde Kollegin oder über den erneuten Zugausfall beschweren, bekommen wir Aufmerksamkeit und Mitleid. Das fühlt sich natürlich gut an. Wir erfahren Zuneigung und fühlen uns bestätigt. 
  •  Wir erhalten Unterstützung und müssen selbst nicht handeln. Unterstützung zu erhalten ist natürlich nichts Schlechtes. Jeder gerät hin und wieder in Situationen, in denen er froh ist, Hilfe zu bekommen. Kritisch wird es, wenn die Verantwortung abgegeben wird und andere Mitmenschen für einen die Probleme lösen. Besonders Menschen mit Helfersyndrom übernehmen gerne die Verantwortung für Menschen, die in der Opferrolle sind. Dies bedingt sich gegenseitig, was auf Dauer zu einer ungesunden Konstellation führt. Eine gute Erklärung hierzu bietet übrigens das „Drama-Dreieck“.
  • Durch das Verharren als Opfer erhalten wir (vermeintlich) Macht über den/ die Täter. Wir machen eventuell unsere Eltern für unsere Ängste und unser Leben verantwortlich, das nicht so gelaufen ist, wie wir uns das gewünscht hätten, weil wir auf ihre Ratschläge gehört haben, obwohl wir was ganz anderes machen wollten. Der Ex-Partner, der uns verlassen hat, ist schuld an unseren stressigen Alltag und der blöde Chef daran, dass uns die Arbeit keine Freude bereitet.
  • Als Opfer fühlen wir uns moralisch überlegen. Wir sind die Guten und die anderen, die für unser trauriges Schicksal verantwortlich sind, sind die Schlechten.
  • Und nicht zuletzt bringt uns die Opferrolle auch eine Identität, denn: Wer sind wir, wenn wir nicht mehr das Opfer sind?

Nimm die Zitronen und mach' Limonade draus!

Du hast es selbst in der Hand, ob Du aus Zitronen Limonade machst

Es führt kein Weg daran vorbei. Wenn wir mehr Zufriedenheit und Glück erfahren wollen, müssen wir ins Handeln kommen und Verantwortung für unser Leben und unsere Gefühle übernehmen. 

Sicher, auf manche Umstände haben wir keinen Einfluss, aber wir können entscheiden, wie wir darauf reagieren.

  • Wenn dich der Chef und der Job nerven und unglücklich machen – wer hindert dich daran, deine Arbeitsstelle zu wechseln? Frage dich, ob es die vermeintliche Sicherheit des Arbeitsplatzes wert ist, 8 Stunden deiner Lebenszeit zu opfern, die dich auch noch unglücklich machen. Alternativ kannst du versuchen, die Situation zu akzeptieren wie sie ist. Du wirst den Chef und/ oder deine Kollegen nicht ändern, so sehr du dich auch aufregst. Anzunehmen, was ist, kann befreiend wirken. Du entscheidest dich dafür, dich nicht mehr zu ärgern. Dadurch hast du die Macht über deine Gefühle.
  • Okay, dein Partner/ deine Partnerin hat dich verlassen und du musst nun alles alleine rocken. Aber hilft es dir, dich immer und immer wieder darüber zu beschweren? Es ändert nichts an der Situation. Aber du kannst entscheiden, wie viele Aufgaben und Termine du in deinen Alltag packst. Es muss nicht immer du diejenige oder derjenige sein, die/ der den Kuchen für den Elternnachmittag backt. Und du darfst auch bei einem Elternabend fehlen. In der Regel erreichen einen die wichtigen Informationen eh per Mail. 
  • Die Wohnung muss nicht perfekt aufgeräumt sein (für wen überhaupt?). Stattdessen spielst du etwas mit deinen Kindern oder nimmst ein entspannendes Bad. Selbstfürsorge ist hier das Zauberwort. Es bringt keinem etwas, wenn du irgendwann zusammenklappst und gar nichts mehr machen kannst.
  • Oft versuchen wir, Anforderungen von Außen zu erfüllen. Wir meinen, alles perfekt machen zu müssen, nach der Arbeit noch das perfekt gesunde Essen für unsere Kinder und uns zu kochen und das Bad zu putzen „weil man das so macht“. Dabei entscheiden wir, wie wir unser Leben gestalten und ob wir dieses gesellschaftliche Spiel mitspielen wollen. Und wer das nicht akzeptieren kann, sondern Dich ständig bewertet,  frage dich: Ist dies die richtige Person in deinem Leben? Du hast es selbst in der Hand mit wem Du Deine Zeit verbringst.
  • Ein Zugausfall ist ärgerlich, genauso im Stau zu stehen. Aber auch das kannst du nicht ändern, indem du jammerst und dich aufregst. Betrachte es als eine Pause. Du kannst durchatmen, eine Mini-Meditation einlegen, einen Podcast hören oder im Bahnhofscafé noch einen Kaffee oder Tee genießen. Natürlich ist es blöd und setzt einen erstmal unter Stress, wenn die Kinder in der Kita oder Schule auf dich warten. Aber ändern kannst du es trotzdem nicht. Du kommst hier gerade nicht weg. Vielleicht hast du Freunde oder Familie, die einspringen können. Und keine Erzieherin lässt Kinder alleine vor der Einrichtung stehen. 
  • Ich habe es oben schon einmal erwähnt: Oft identifizieren wir uns so sehr mit der Opferrolle, dass wir gar nicht mehr wissen, wer wir ohne sie sind. Dies herauszufinden, kann eine spannende Reise sein. Frage dich: Wer bist du, ohne das Jammern und Klagen? Was in deinem Leben würde anders sein? Wie würdest du dein Leben gestalten? Was sind deine Ziele und Wünsche? Welche Träume hast du, von denen du meinst, dass sie sich nie erfüllen werden, weil das Schicksal es scheinbar nicht zulässt?

Nichts ist in Stein gemeißelt

Jahrelang habe ich mich darüber beschwert, dass ich mit drei Kindern alleine die Einkäufe nach Hause schleppen musste, weil ich mir scheinbar kein Auto leisten konnte. Einen Führerschein habe ich, allerdings bin ich nach bestandener Prüfung nur 3 Wochen gefahren. Dann hatte ich einen Unfall zu verschulden. Für mich war dies eine Bestätigung dafür, was ich mir vorher schon immer eingeredet hatte: Ich kann kein Auto fahren.

Ständig habe ich mich bei meiner Familie und Freunden ausgeheult, wie viel Zeit für das Einkaufen investiert werden muss, dass der Rücken und Nacken vom Tragen schmerzten. Natürlich nur wegen meines Ex-Mannes. Schließlich hatte er uns verlassen. Sonst hätte man mit ihm und dem Auto gemeinsam einen Wocheneinkauf erledigen können. Aber nun musste ich alles alleine machen.

Überhaupt war es ohne Auto blöd. Mein Radius beschränkte sich oft nur auf 1,5 km um meine Wohnung herum. Ich bin zwar mein Leben lang Bus und Bahn gefahren (meine Eltern hatten nie einen Führerschein), aber durch die ständigen Bus- und Zugausfälle und Verspätungen hatten meine Kinder und ich daran auch bald keinen Spaß mehr. 

verrostetes Auto

 

Ich fühlte mich im Alltag regelrecht gefangen und erdrückt. 

In einem Coaching erzählte ich davon und die Coachin stellte mir eine Frage, die etwas in mir auslöste: „Was hindert Sie daran auszubrechen?“ Bei mir machte es „klick“. 

Es war nur meine Angst vor dem Autofahren. Da konnte weder mein Ex-Mann was für noch die Verkehrsgesellschaften. Und dass ich mir kein Auto leisten konnte, war nur eine Ausrede. Ich habe das Steuer meines Lebens im wahrsten Sinne des Wortes selbst in die Hand genommen. Es gibt immer Wege, und sei es, dass man sich woanders einschränkt. Hier muss man natürlich Prioritäten setzen.

Ich habe zwar jetzt etwas mehr Kosten, aber dafür mehr Zeit für andere Dinge. Meine Kinder und ich können jetzt Ausflüge zu Orten unternehmen, wo wir vorher nur schwer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln hingekommen sind. Meine inzwischen ältere mittlere Tochter kann ich nun nachts auch mal aus dem Club abholen und muss nicht immer andere Freunde oder Familienmitglieder darum bitten. Ich habe mehr Möglichkeiten bei der Wahl meiner Arbeitsstätte. Vorher musste ich darauf achten, dass diese gut mit dem ÖPNV zu erreichen sind und die Fahrt damit nicht zu lang ist.

Und das Beste: Ich habe es selbst in die Hand genommen und mich meiner Angst gestellt, was mir zu mehr Selbstvertrauen verholfen hat.

Also, was hindert dich daran, aus deiner Opferrolle auszubrechen?

Bild 1: Peopleimages von Canva Pro, Bild 2: AlinaKho von Canva Pro, Bild 3: Rainer Kohlrusch, Bild 4: Ivan Negru’s Images von Canva, Bild 5: Anja Wilms

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen
50%

Sicher Dir meinen kostenlosen Newsletter!

In regelmäßigen Abständen erhältst Du Hintergrundwissen und Impulse für Deinen Familienalltag als alleinerziehendes Elternteil. Natürlich kannst Du Dich jederzeit wieder abmelden.

Cookie Consent mit Real Cookie Banner